In Wetzlar trifft sich drei bis vier Mal jährlich ein
Gesprächskreis für hörsehbehinderte und taubblinde Menschen.
Am 22.02.2017 kündigte sich zu diesem Treffen eine Journalistin,
Frau Manuela Jung, an.
Sie blieb eine Stunde bei unserem Treffen und stellte, wie ich fand,
sehr gute Fragen.
Der Artikel, der über dieses Treffen am 03.03.2017 in der
Wetzlarer Neuen Zeitung erschien spiegelte diese guten Fragen aber
auch die Antworten wieder.
Da mir auch die Fotos innerhalb dieses Artikels sehr gut gefallen,
stelle ich diesen Artikel einmal als Bild hier herein und dazu den
Text noch einmal extra.
TREFFEN - Menschen mit Hör- und Sehbehinderungen erzählen vom Leben mit Handicap
Von Manuela Jung
Wetzlar - Taub oder schwerhörig? Blind oder sehbehindert? Taubblind? Jedes Prozent weniger hören oder sehen stellt eine andere Behinderung dar, findet Heike Herrmann-Hofstetter. In Wetzlar hat sie sich mit Menschen getroffen, die diese Handicaps kennen.
Pünktlich um 15 Uhr schließt das Café Lahnblick in Wetzlar am Mittwochnachmittag. Dabei hat die Zeit zum Kaffeetrinken gerade erst begonnen. Grund dafür sind aber nicht etwa ausgegangener Kuchen oder defekte Kaffeemaschinen; es sind Menschen, die ein ähnliches Behinderungsbild teilen. „Wenn wir uns treffen, sollen alle alles verstehen“, sagt Heike Herrmann-Hofstetter, und das sei nur möglich, wenn um ihren Tisch herum keine Nebengeräusche störten.
Denn im Café Lahnblick kommen am Mittwoch vor allem Menschen zusammen, die kaum noch etwas sehen oder ganz schwer hören. Herrmann-Hofstetter ist nahezu ganz erblindet, Fajaz Latifi ist von Geburt an taub und sieht immer weniger, wohingegen es um die Augen und Ohren von Hans Naudit und Hermann Butkewitz noch recht gut steht; sie sind dabei, weil sie jeweils eine taubblinde Frau begleiten.
Naudit sucht Antworten auf einige Fragen, Butkewitz möchte sich ein Bild von dem alle drei Monate stattfindenden Treffen machen und nachsehen, ob seine Bekannte vielleicht beim nächsten Mal selbst teilnehmen könnte: „Sie hatte Angst, herzukommen, weil sie im Rollstuhl sitzt und nur über das Lormen kommunizieren kann.
Lormen: Eine Kommunikationsform, bei der der Sprechende auf die Handinnenfläche des Taubblinden tastet und ihm darüber Buchstaben vermittelt. Am Mittwoch ist keiner der Gäste darauf angewiesen. Solange Fajaz Latifi zumindest noch minimal sehen kann, wird er es auch nicht sein. Auf seinem Handy zeigt er ein Foto, in der Mitte ist ein Eis mit einem Kreis rundherum zu sehen, außerhalb des Kreises ist alles schwarz.
Susanne Hedrich haben Implantate geholfen: „Ich bin taub und kann trotzdem hören.“
Latifi vermittelt den anderen, dass er nur noch so sehen kann, wie es auf dem Foto dargestellt ist. Er leidet unter dem sogenannten Usher-Syndrom, einer Kombination aus Gehörlosigkeit und Sehbehinderung, die bis zur Erblindung führen kann. Der gebürtige Afghane ist von Geburt an taub, mit 15 haben seine Eltern erst bemerkt, dass auch mit seinen Augen etwas nicht stimmt. Seine Geschichte erzählt Latifi über Gebärdensprache.
Begleiterin Susanne Hedrich überträgt es in Worte und teilt es
den anderen mit: „Ich bin beim Fußball immer mehr gefallen,
Fahrrad fahren wurde zur Gefahr.
Tagsüber ging es erst noch, doch bei Dunkelheit fiel es mir immer
schwerer, mich zu orientieren“, erzählt Latifi.
Eine Brille hätte er damals tragen sollen, doch die habe er in den Müll geworfen. Zu groß sei der Frust gewesen; auch deshalb, weil er von seinen Mitmenschen gehänselt worden sei, von seiner Behinderung hätten sie nichts gewusst.
Inzwischen hat sich Latifi mit seiner Erkrankung arrangiert, er
lacht viel, erfreut sich vor allem an der Unterhaltung mit Begleiterin
Susanne Hedrich.
Auch sie hat ein Handicap – und trägt es mit Fassung: „Ich bin taub
und kann trotzdem hören“, sagt die Rechtenbacherin. Wie das geht? Vor
einigen Jahren wurden ihr sogenannte Cochlea-Implantate
eingesetzt, erst am einen Ohr, Jahre später am anderen. Mit dem
Ergebnis ist sie zufrieden: „Ich kann inzwischen sogar Vogelstimmen
unterscheiden“, sagt sie. Ein echtes Erlebnis, schließlich ist
Hedrich seit ihrem zweiten Lebensjahr schwerhörig.
Susanne Hedrich ist die einzige Taubblinden-Assistentin in Hessen, 120 davon gibt es in Deutschland – bei über 6000 Taubblinden. Ein Missstand, darüber herrscht am Mittwoch Einigkeit.
Erst seit Dezember 2016 ist Taubblindheit als Krankheitsbild anerkannt, „die Ausbildung zum Taubblinden-Assistenten ist in Hessen kein anerkannter Beruf“, schildert Hedrich. Ihre Forderung: „Jeder Taubblinde braucht einen Assistenten, der von der Krankenkasse bezahlt wird.“
Taubblind ist Klaus Kramp glücklicherweise nicht. Er hat auch seine Probleme mit dem Hören, schlimm findet er das aber nicht: „Ich höre einfach nur das, was ich hören will“, scherzt der Weilburger. Anders steht es um seine Augen, die Sehkraft hat im Laufe seiner Kindheit stark abgenommen: „Ich war der Größte in der Schule, saß immer in der letzten Reihe. Irgendwann sah ich nicht mehr, was die Lehrerin an die Tafel schrieb. Als ihr das auffiel, führte sie mich bis zum Pult, erst dann konnte ich vorlesen, was dort geschrieben stand. Wir sind sofort zum Augenarzt gefahren“, erzählt Kramp. Zwei schwere Operationen habe er hinter sich, trotzdem ist seine Sehkraft nur noch marginal: „0,002 Prozent, mehr sehe ich nicht mehr. Mit Brille habe ich die ersten zwei Meter noch eine Chance, ohne sie ist alles wie Nebel.“
Im „Prozess der Erblindung“, wie sie es selbst nennt, ist auch Heike Herrmann-Hofstetter: „Ich wundere mich oft, wie viel weniger es immer noch werden kann“, sagt sie. Inzwischen habe sie einen Blindenstock als ihren regelmäßigen Begleiter akzeptiert, doch dafür brauchte sie sechs Jahre: „Die Menschen sehen nur den Stock; ich wünschte, sie wurden uns einfach als ganz normale Mitbürger wahrnehmen.“Herrmann-Hofstetter ist Referentin für Hörsehbehinderte und hat das Treffen des Blindenbundes in Wetzlar organisiert. Dass sie tatsächlich nahezu blind ist, ist ihr nicht anzusehen: „Das Problem liegt nicht an den Augen, sondern am Augenhintergrund“, schildert sie.
Einen Gleichgesinnten findet sie in Helmut Debus, der aus Bischoffen angereist ist. Auf einen Blindenstock verzichtet er, aber auch nur, weil ihm seine Frau zur Seite steht: „Dank ihr konnte ich mein Leben meistern“, sagt er. Und das war eine echte Erfolgsgeschichte: Debus hat eine Ausbildung zum Masseur gemacht, später ging er nach Bonn und leitete mit einem ebenfalls blinden Kollegen eine eigene Praxis. „Was ich mit den Augen nicht sehe, sehe ich mit den Fingern“, sagt er.
Seine Blindheit sei kein Grund zu resignieren: „Ich bin ein Optimist, vergesse das Schlechte und behalte das Gute, nur wegen meiner Behinderung sollen mich die Leute nicht als ‚armen Menschen‘ wahrnehmen.“
epaper.mittelhessen.de/eweb/zld/2017/03/03/111/10/61894
Diesen Artikel aus der Wetzlarer Zeitung mailte ich an die OP und nach einem Gespräch mit dem Redakteur erschien der Artikel, ein bisschen gekürzt, am 08.03.2017 in der Oberhessischen Presse in Marburg.
Gehörlos oder schwerhörig? Blind oder sehbehindert? Taubblind?
Jedes Prozent weniger hören oder sehen stellt eine andere
Behinderung dar, sagt die Marburgerin Heike Herrmann-Hofstetter.
von Manuela Jung und Dennis Siepmann
Marburg. Pünktlich um 15 Uhr schließt das Café Lahnblick in Wetzlar am Mittwochnachmittag. Dabei hat die Zeit zum Kaffeetrinken gerade erst begonnen. Grund dafür sind aber nicht etwa ausgegangener Kuchen oder defekte Kaffeemaschinen; es sind Menschen, die ein ähnliches Behinderungsbild teilen. "Wenn wir uns treffen, sollen alle alles verstehen", sagt Heike Herrmann-Hofstetter, und das sei nur möglich, wenn um ihren Tisch herum keine Nebengeräusche störten. Denn im Café Lahnblick kommen am Mittwoch vor allem Menschen zusammen, die kaum noch etwas sehen oder ganz schwer hören.
Usher-Syndrom: gehörlos und sehbehindert
Herrmann-Hofstetter ist nahezu komplett erblindet, Fajaz Latifi
ist von Geburt an gehörlos und sieht immer weniger, wohingegen es
um die Augen und Ohren von Hans Naudit und Hermann Butkewitz noch
recht gut steht; sie sind dabei, weil sie jeweils eine erblindete
gehörlose Frau begleiten.
Naudit sucht Antworten auf einige Fragen, Butkewitz möchte sich ein
Bild von dem alle drei Monate stattfindenden Treffen machen und
nachsehen, ob seine Bekannte vielleicht beim nächsten Mal selbst
teilnehmen könnte: "Sie hatte Angst, herzukommen, weil sie im
Rollstuhl sitzt und nur über das Lormen kommunizieren kann."
Lormen: Eine Kommunikationsform, bei der der Sprechende auf die
Handinnenfläche des Gehörlosblinden tastet und ihm darüber Buchstaben
vermittelt. Am Mittwoch ist keiner der Gäste darauf angewiesen.
Solange Fajaz Latifi zumindest noch minimal sehen kann, wird er es
auch nicht sein.
Auf seinem Handy zeigt er ein Foto, in der Mitte ist ein Eis mit einem
Kreis rundherum zu sehen, außerhalb des Kreises ist alles schwarz.
Latifi vermittelt den anderen, dass er nur noch so sehen kann, wie es
auf dem Foto dargestellt ist. Er leidet unter dem sogenannten Usher-Syndrom,
einer Kombination aus Gehörlosigkeit und Sehbehinderung,
die bis zur Erblindung führen kann. Der gebürtige Afghane ist von
Geburt an gehörlos, mit 15 haben seine Eltern erst bemerkt, dass
auch mit seinen Augen etwas nicht stimmt. Seine Geschichte erzählt
Latifi über Gebärdensprache.
Begleiterin Susanne Hedrich überträgt es in Worte und teilt es
den anderen mit: "Ich bin beim Fußball immer mehr gefallen,
Fahrrad fahren wurde zur Gefahr. Tagsüber ging es erst noch, doch
bei Dunkelheit fiel es mir immer schwerer, mich zu orientieren",
erzählt Latifi.
Eine Brille hätte er damals tragen sollen, doch die habe er in den
Müll geworfen. Zu groß sei der Frust gewesen; auch deshalb, weil
er von seinen Mitmenschen gehänselt worden sei, von seiner Behinderung
hätten sie nichts gewusst. Inzwischen hat sich Latifi mit
seiner Erkrankung arrangiert, er lacht viel, erfreut sich vor allem
an der Unterhaltung mit Begleiterin Susanne Hedrich. Auch sie hat ein
Handicap und trägt es mit Fassung: "Ich bin gehörlos und kann trotzdem
hören", sagt sie. Wie das geht? Vor einigen Jahren wurden ihr
sogenannte Cochlea-Implantate eingesetzt, erst am einen Ohr,
Jahre später am anderen. Mit dem Ergebnis ist sie zufrieden: "Ich
kann inzwischen sogar Vogelstimmen unterscheiden", sagt sie. Ein
echtes Erlebnis, schließlich ist Hedrich seit ihrem zweiten
Lebensjahr schwerhörig. Susanne Hedrich ist die einzige
Gehörlosblinden-Assistentin in Hessen, 120 davon gibt es in
Deutschland bei mehr als 6000 Gehörlosblinden. Ein Missstand -
darüber herrscht in der Runde Einigkeit.
Taubblindheit ist erst seit drei Monaten anerkannt
Erst seit Dezember 2016 ist Gehörlosblindheit als
Krankheitsbild anerkannt, "die Ausbildung zum Gehörlosblinden-Assistenten
ist in Hessen kein anerkannter Beruf", schildert Hedrich. Ihre
Forderung: "Jeder Gehörlosblinde braucht einen Assistenten, der von
der Krankenkasse bezahlt wird."
Im "Prozess der Erblindung", wie sie es selbst nennt, ist auch Heike
Herrmann-Hofstetter: "Ich wundere mich oft, wie viel weniger es immer
noch werden kann", sagt sie. Inzwischen habe sie einen
Blindenstock als ihren regelmäßigen Begleiter akzeptiert, doch dafür
brauchte sie sechs Jahre: "Die Menschen sehen nur den Stock; ich
wünschte, sie würden uns einfach als ganz normale Mitbürger
wahrnehmen."
Herrmann-Hofstetter ist Referentin für Hörsehbehinderte und hat das
Treffen des Blindenbundes in Wetzlar organisiert. Dass sie
tatsächlich nahezu blind ist, ist ihr nicht anzusehen: "Das Problem
liegt nicht an den Augen, sondern am Augenhintergrund", schildert
sie. Auch in Marburg hat die Referentin für Hörsehbehinderten-
und Taubblindenarbeit ein regelmäßiges Treffen von
Betroffenen und Angehörigen ihres "Nischenthemas" auf den Weg
gebracht. "Wir treffen uns jeden ersten Dienstag im Monat zwischen
15 Uhr und 18 Uhr", sagt Herrmann-Hofstetter. Ein Café im Südviertel
stellt dafür Platz zur Verfügung. Darüber ist Hermann-Hofstetter
dankbar, aber dennoch sucht sie weiter eine Räumlichkeit, "wo wir
auch die Türen schließen können", sagt sie. Denn Ruhe sei wichtig.
Besonders für Menschen, die Hörgeräte tragen, erklärt sie:
"Diese Geräte verstärken eben alle Geräusche. Je mehr
Sinnesbehinderungen bestehen, desto schwieriger ist eben auch die
Kommunikation."
Kontakt zu Heike Herrmann-Hofstetter: Telefonnummer 06421/166734,
Email-Adresse:
heike.monika@t-online.de