Schon in frühester Kindheit wurde bei mir eine Schwerhörigkeit
festgestellt.
Unbemerkt, weil langsam und schleichend, dürfte auch die rp
ihren Anfang genommen haben.
In der Schule, im Alter von 12 Jahren, trug ich zum ersten Mal,
wenn auch nur sporadisch, ein Hörgerät in Westentaschenformat,
mit Schnurr und Knopf im Ohr.
Hänselei, Beschimpfung und Diskriminierung waren an der
Tagesordnung; aber möglicherweise auch der Grund für meinen
sportlichen Ehrgeiz, besser zu sein als die Anderen.
Immerhin war ich Jahresbester in Turnen und in der Leichtathletik,
hatte aber bei den Ballspielen und beim Training mit zunehmender
Dunkelheit meine Probleme.
Verantwortlich dafür ist wohl die zunehmende Nachtblindheit und
Gesichtsfeldeinschränkung zu machen.
Beides sind typische Merkmale und Vorboten einer sich verstärkenden
rp!
Das zentrale Sehvermögen hingegen war noch einigermaßen intakt, so
dass ich von den Lippen ablesen konnte und damit den vorhandenen
Hörverlust etwas kompensieren konnte.
In den Jahren der Pubertät verschlechterte sich die Sehkraft
und das Hörvermögen rapide und im Gleichschritt.
Die sportliche Karriere war beendet und die berufliche Tätigkeit als
Bäcker und Konditor stand auf der Kippe, so dass ich 1965, mit 22
Jahren, an der Goethe Universität in Frankfurt vorstellig werden
mußte.
Nach zahlreichen und intensiven Untersuchungen erwähnte und
bescheinigte man mir zum ersten Mal das Usher-Syndrom.
Mir wurde eindringlich empfohlen per Umschulung den Beruf zu
wechseln. Ich erlernte die Blindenschrift, worauf eine
Ausbildung zum staatlich anerkannten Masseur und
medizinischen Bademeister mit Staatsexamen folgte.
Wegen Eitelkeit bei der Brautschau kam das Hörgerät nur hin und wider zum Einsatz, war aber spätestens zu diesem Zeitpunkt mein dauerhafter Begleiter.
Seit der Notwendigkeit ständig ein Hörgerät tragen zu müssen, habe
ich aufmerksam und intensiv jede Neuerung und technische
Weiterentwicklung der Hörhilfen verfolgt.
In diesen Jahren gab es für mich nie einen Grund zur Beanstandung
und stets wurden die Hörgeräte optimal und zu meiner Zufriedenheit
eingestellt, was sich aber in letzter Zeit, mit der Entwicklung
der digitalen Hörgeräte, geändert hat.
Besonders für blinde Menschen ist ein gut eingestelltes Hörgerät von
größter Wichtigkeit.
Ich kann nur raten, sich sehr genau zu überlegen und gut zu
informieren, welchen Hörakustiker man wählt.
Trotz meiner grundsätzlich positiven Lebenseinstellung habe
ich mir in letzter Zeit große Sorgen um die Zukunft gemacht.
Die Erblindung beträgt inzwischen 100% und der Hörverlust befindet
sich mit 90% an der Taubheitsgrenze.
Was ist, wenn es sich in meinem Fall tatsächlich um das Usher-Syndrom
handelt und ich am Ende auch völlig taub sein werde?
Blind und taub, eine schreckliche Horrorvision, deprimierend und sehr
beängstigend für mich.
Glückliche Umstände und glühende Telefondrähte verschafften mir
letztenendes den Zugang zur Audiologie an der Charitè Berlin
CVK.
Leiter ist Herr Professor Dr. med. Groß.
Ich nahm an einer Usher Studie und an einer interdisziplinären Usher Sprechstunde
teil.
Man informierte mich, dass der Nachweis eines Usher-Syndroms per
Bluttest, Monate in Anspruch nehmen würde und die rp mit der Diagnose
Erblindung Fakt und bleibend sei.
Aber man teilte mir auch mit, dass ich aufgrund der
Untersuchungsergebnisse durchaus ein geeigneter Kandidat für ein
Cochlea Implantat sei.
Meine Erleichterung war riesengroß, bedeutet es doch, dass eine
völlige Taubheit mit großer Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen
werden kann.
Man zeigte und erklärte mir die Funktion eines Cochlea Implantats,
so dass ich spontan beschloß, mir ein solches Implantat am Klinikum
Berlin anpassen zu lassen.
Doch nach einem Gespräch mit einem Vorstandsmitglied des Cochlea Verbandes
Rhein/Main habe ich davon Abstand genommen.
Ausschlaggebend dafür war der Hinweis, dass nach der OP eine
mehrtägige Aktivierung des Implantats unbedingt notwendig ist.
Damit war Berlin außen vor.
Der chirurgische Eingriff wurde in der Nähe meines Wohnortes an der
Goethe Universität in Frankfurt vorgenommen.
Es zeigte sich, dass das Personal in der HNO Abteilung und in der
Audiologie im Umgang mit zusätzlich erblindeten Menschen einige
Schwächen offenbarte.
Ertaubte und blinde Menschen hat man eben nicht alle Tage.
Dennoch zolle ich dem medizinischen Personal Lob und Dank, für die
Organisation, Behandlung und Betreuung.
Zu guter Letzt kommt das Wichtigste.
An dieser Stelle muß ich mich bei meiner Frau Ilke sehr herzlich
bedanken.
Ohne ihre Begleitung und Hilfe wäre das Abenteuer rund um das
Cochlea Implantat, von Berlin bis Frankfurt, für mich allein nicht zu
bewältigen gewesen.
Breuberg, Oktober 2013, Bernhard Buch